Jeder von euch hat sicher schon einmal eines dieser tollen Highspeed-Videos gesehen, in denen man in Super-Zeitlupe einen Ballon platzen oder das Abfeuern einer Kanonenkugel sieht. Auch bei Sportübertragungen im Fernsehen (z.B. Turmspringen, Leichtathletik, usw.) oder in Extremsport-Videos werden solche Aufnahmen eingesetzt, um dem Zuschauer noch spektakulärere Einsichten zu bieten.

Künstliche Zeitlupenaufnahmen in der Bewegungsanalyse?

Entsprechende Profi-Kameras, die mit mehreren hundert bis tausend Bildern pro Sekunde aufnehmen, sind für Filmer abseits subventionierter Fernsehproduktionen aber oft nicht leistbar. Moderne Videobearbeitungs-Plugins wie Twixtor oder Spline versprechen hier Abhilfe. Sie analysieren Pixelbewegungen und errechnen auf dieser Grundlage Bilder, die zwischen die aufgenommenen Bilder eingefügt werden und somit die Bildrate „künstlich“ erhöhen.

Unser Video-Redakteur Dominik hat sich während seines Sportwissenschaft-Studiums mit der Frage beschäftigt, welche Möglichkeiten solche künstlichen Zeitlupenaufnahmen in der Bewegungsanalyse eröffnen könnten.

Fazit: Mithilfe des Twixtor-Plugins können Videoaufnahmen mit 60 Bildern pro Sekunde äußerst genau auf höhere Bildfrequenzen interpoliert werden. Derartige Videobearbeitungen könnten sportwissenschaftliche Analysen also durchaus verbessern.

Video-Aufnahmen zur Verletzungsprophylaxe

In der Sportwissenschaft geht es nicht immer nur darum, die Leistung von Spitzensportlern zu verbessern. Viele Wissenschaftler beschäftigen sich auch damit, Verletzungen im Sport zu analysieren um Empfehlungen abzugeben, wie man diese am besten verhindern kann.

Dazu ist es genauso wie im Leistungssport wichtig, genaue kinematische Daten (Kraft, Beschleunigung, Geschwindigkeit usw.) über den Verletzungshergang zu bekommen, damit man jene Bewegungen bestimmen kann, die eine bestimmte Verletzung auslösen. Da man Verletzungs-Hergänge nicht „kontrolliert“ im Labor untersuchen kann, ist man zu 100 Prozent auf die Analyse von Videoaufnahmen aus Training und Wettkämpfen angewiesen.

Die Bildfrequenz als Genauigkeitsproblem

Eine große Schwachstelle stellt in solchen Studien aber immer noch die Bildfrequenz der verwendeten Aufnahmen dar. Die zufällig entstandenen Aufnahmen von Verletzungen stammen meist von Fernsehkameras, die mit einer zeitlichen Auflösung von 50 bzw. 60 Bildern pro Sekunde arbeiten.

Reale Belastungsspitzen von schnellen Bewegungen lassen sich durch diese Bildrate aber nicht gut bestimmen, da es sehr leicht vorkommen kann, dass diese genau zwischen zwei aufgezeichneten Bildern liegen und der Maximalwert so nicht gemessen werden kann.

Hätte man Highspeed-Videoaufnahmen von Verletzungsvorgängen zur Verfügung, könnten Verletzungsvorgänge wesentlich genauer analysiert werden und es wäre eventuell möglich, bessere Schlüsse über die Vermeidung von Verletzungen zu ziehen.

Moderne Videobearbeitungs-Verfahren machen es möglich

In der modernen Videobearbeitung gibt es nun einige Tools, die Highspeed-Videos „künstlich“ erstellen können. Twixtor, Spline und Co rechnen eine normale Fernsehfrequenz von 60 Bildern pro Sekunde auf beispielsweise 300 Bilder pro Sekunde hoch, indem sie die wahrscheinliche Bewegung der einzelnen Pixel vorhersagen und entsprechend zusätzliche Bilder zwischen die aufgenommenen Bilder einfügen. Diesen Vorgang nennt man Interpolation. Die Algorithmen, nach denen diese Berechnungen erfolgen, unterschieden sich je nach Programm.

Dass so etwas durchaus sehr realistisch aussehen kann, zeigt zum Beispiel dieses Video:

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Twixtor ist für kinematische Ableitungen geeignet

Video-Experte Dominik Hörner konnte in seiner wissenschaftlichen Seminararbeit letztlich folgende Schlüsse ziehen:

  • Genauigkeit der Interpolationen
    In der Analyse wurden die Plugins Twixtor und Spline miteinander verglichen. Twixtor lieferte bei einem Ausgangsmaterial mit 60 Bildern pro Sekunde eine äußerst genaue, realitätsnahe Interpolation auf 300 Bilder pro Sekunde und war damit der Spline-Interpolation überlegen. Ein Ausgangsvideo mit 30 Bildern pro Sekunde lieferte mit beiden Programmen wesentlich unpräzisere Hochrechnungen.
  • Anwendbarkeit in der Sportwissenschaft
    Generell konnte die Studie zeigen, dass die Digitalisierung von Videos eine durchaus valide und reliable Methode ist, um kinematische Daten aus Videoaufnahmen abzuleiten. Offen bleibt allerdings, wie gut das Plugin mit der Unschärfe von Fernsehbildern umgehen kann (verursacht durch die lange Verschlusszeit bei 60 Bildern pro Sekunde). Gerade bei Sportaufnahmen könnten durch schnelle Bewegungen Unschärfen entstehen, die die Twixtor-Interpolation negativ beeinflussen können. Hier wären weitere praktische Versuche zur Anwendbarkeit und Genauigkeit in unterschiedlichen Situationen notwendig.

Eine umfangreiche Darstellung der Ergebnisse findet ihr in der vollständigen Studie (23 Seiten) in meinem Download-Bereich:

Downloadbereich

Literaturverzeichnis:

Koga, H.; Nakamae, A.; Shima, Y.; Iwasa, J.; Myklebust, G.; Engebretsen, L. et al. (2010): Mechanisms for Noncontact Anterior Cruciate Ligament Injuries: Knee Joint Kinematics in 10 Injury Situations From Female Team Handball and Basketball. In: The American Journal of Sports Medicine 38 (11), S. 2218–2225,

Krosshaug, Tron; Bahr, Roald (2005): A model-based image-matching technique for three-dimensional reconstruction of human motion from uncalibrated video sequences. In: Journal of Biomechanics 38 (4), S. 919–929,

Krosshaug, T.; Slauterbeck, J. R.; Engebretsen, L.; Bahr, R. (2007): Biomechanical analysis of anterior cruciate ligament injury mechanisms: three-dimensional motion reconstruction from video sequences. In: Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports 17 (5), S. 508–519,